Onegin kehrt endlich heim (2024)

Onegin kehrt endlich heim (1)

Friedemann Vogel ist ein legendärer Onegin, hier in einer symbolhaften Pose von Roman Novitzky vom Stuttgarter Ballett fotografiert. Und auch Roman Novitzky wird den „Onegin“ tanzen!

„Endlich ist er wieder da!“ – nach den Berliner Ballettfans können das jetzt auch die Ballettomane in Stuttgart seufzen. Denn „Onegin“, vulgo Eugen Onegin, der wilde, erotische, sensible und doch so arrogante Dandy, den einst Alexander Puschkin im 19. Jahrhundert erfand und der als Ikone des modernen Balletts des 20. Jahrhunderts ein Herz nach dem anderen im Zuschauersaal bricht, kehrt nun im gleichnamigen Stück von John Cranko auf die Bühne mit dem Stuttgarter Ballett zurück. Und zwar gleich in fünf verschiedenen Besetzungen der Titelpartie! So strotzen die Stuttgarter mit ihrem besten Stück, das ihr Ballettpatron Cranko – mit zwei Uraufführungen in den 60er-Jahren – für sie ersonnen hat. Ist doch kaum zu fassen, dass ausgerechnet im braven Schwabenland ein so untypischer Liebhaber fröhliche Urständ feiert, mag man sich denken – aber man sollte die Stuttgarter:innen eben nicht unterschätzen. Weltweit ist ihr „Onegin“ bekannt, beliebt und berüchtigt, kein Primoballerino und keine Primaballerina gibt es, die nicht diese Hauptrollen tanzen wollen. Dabei sind diese modern-klassischen Partien eigenwillig und apart, aber keineswegs das, wofür Balletttänzer:innen typischerweise ausgebildet werden. Insofern verlangen sie den Stars stets viel ab, in technischer Hinsicht und noch stärker in puncto Charakterdarstellung und schauspielerischem Ausdruck von Gesten und Mimik.

Den Beginn macht am kommenden Samstag, dem 23. Oktober 21, der vielfach bewährte „Onegin“-Star Friedemann Vogel, der diese Rolle auch auf der im Handel erhältlichen DVD / BluRay tanzt. An seiner Seite trippelt dieses Mal als Tatjana aber nicht Alicia Amatriain – die sich noch immer von ihrer ersten Mutterschaft erholt – sondern die zierliche Elisa Badenes, die früher auch eine liebliche Olga, also Tatjanas jüngere Schwester, abgab.

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Für viele das Traumpaar der Saison: Friedemann Vogel und Elisa Badenes in „Onegin“ von John Cranko. Foto: Roman Novitzky

Für viele Ballettkenner:innen bildet diese Besetzung das aktuelle Traumpaar schlechthin. Friedemann Vogel hat Drive und Eleganz, er kennt die Rolle aus dem Effeff und tanzt sie mit Schmelz und pikanter Doppeldeutigkeit.

Elisa Badenes weiß darauf hervorragend zu reagieren, erfreut sich an seiner Exotik und fürchtet sich vor seinen rigorosen Absagen. Man versteht, wieso sich ihre Verliebtheit in diesen Haudegen so maßlos hochschaukelt.

Eine Kostprobe ihrer dramatischen und auch technischen Begabung lieferten die Stuttgarter übrigens beim gestrigen World Ballet Day 2021 ab.

Die Bildqualität der beiden Kameras, die die Bühnenprobe in Kostüm aus dem Theatersaal der John Cranko Schule übertrugen, ließ zwar schwer zu wünschen übrig. Teilweise hatte man den Eindruck, hier werde mit dem Handy gefilmt. Aber dafür sah man mit geübtem Auge doch, worauf im Detail bei dieser Besetzung Wert gelegt wird.

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Die Mädels formieren tanzenderweise den Kreis, mit griechisch inspirierter Folklore, die gut in einen russischen Garten im 19. Jahrhundert passt. Dazu planen die Jungs, wie sie die Damen ansprechen. Videostill vom World Ballet Day 2021 vom Stuttgarter Ballett: Gisela Sonnenburg

Ebenfalls sah man, dass das Damenensemble auch in dieser Saison ganz entzückend tanzt und auch die schwierigsten Formationen der Gruppe fabelhaft zu meistern weiß.

Und die Jungs dürfen im ersten Akt von „Onegin“ springen und vor Kraft schier bersten – Temperament mit folkloristischem Einschlag ist hier angesagt und wird auch genau so eingelöst.

Am 28. Oktober 21 gibt dann Primoballerino David Moore sein Debüt als Onegin.

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Romeo liebt Julia: David Moore und Elisa Badenes vom Stuttgarter Ballett tanzen hier die Choreografie von John Cranko. Foto: Stuttgarter Ballett

Er ist ja als Romeo mit Elisa Badenes auf der DVD / BluRay „Romeo und Julia“ mit einer Cranko-Choreografie verewigt. Jetzt scheint er dem Ballettintendant Tamas Detrich reif zu sein für die höchste Stufe der Rollendarstellung – sonst dürfte man den Onegin lieber (noch) nicht an einen Tänzer vergeben, und sei er noch so fleißig, begabt und vielseitig.

Man darf gespannt sein, was David Moore aus dieser Partie macht. Toitoitoi!

Seine versierte Tatjana wird Anna Osadcenko sein, die die Rolle der belesenen, sich spät, aber umso heftiger verliebenden jungen Dame bereits häufig verkörperte.

Ihre Eleganz und ihr Esprit wird auf jeden Fall zur smarten Delikatheit von Moore passen. Wir wünschen dem Paar viel Erfolg und beneiden jede und jeden, die oder der sie sehen darf.

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Am 4. November 21 kommt dann fast so etwas wie ein Experiment auf uns zu: Roman Novitzky wird als Onegin in Stuttgart debütieren und vielleicht sogar ganz vorzüglich in die Partie passen. Denn Technik ist hier ja eben nicht das A und O, sondern eine diffizile, portraitgerechte Darstellung.

Onegin ist ein Charakter, den man nicht mit eigenen Ingredenzien irgendwie auffüllen sollte wie etwa einen Prinzenpart. Nein, Onegin verlangt ganz klar Leidenschaft und Narzissmus, Arroganz und Weltschmerz, dennoch zugleich Verlockung und Verheißung, aber eben auch sarkastische Hartherzigkeit und intellektuelle Grausamkeit.

Und erst ganz am Schluss schießen aus ihm Verliebtheit, Eifersucht, Liebe und sogar Einfühlung heraus. Nur ist es dann – nun ja, so ist das im Leben – zu spät. Denn die Festung namens Tatjana, die Onegin endlich erobern will, ist dann schon besetzt.

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Miriam Kacerova und Martí Fernández Paixà in einem anderen Signaturstück aus Stuttgart, in „Die Kameliendame“ von John Neumeier. Gänsehauttreibend. Foto: Stuttgarter Ballett

Am 14. November 21 nachmittags wird Martí Fernández Paixà in diesem in sich köstlich widersprüchlichen Part debütieren. Bisher war er als Onegins Freund und Gegenspieler Lenski in Stuttgart ein Begriff. Von daher auch für ihn ein herzliches Toitoitoi von uns!

Lenski derweil ist Dichter und von poetischer Seele – und entsprechend lyrisch-poetischem Tanz. Seine Männlichkeit ist sinnlich, aber nicht besonders penetrant. Dafür ist er umso heißblütiger, und als Onegin mit seiner Verlobten Olga flirtet, fordert er ihn zum Duell.

Alle warnen ihn, aber er will nicht hören. In einem atemberaubenden „Mondschein-Solo“ erahnt er sein baldiges Sterben – und er ergibt sich der Kugel Onegins, noch bevor die Sonne aufgeht.

Diesen Helden, der im Grunde ein Anti-Held ist, der seinen Freund erschießen muss, um nicht selbst von ihm erschossen zu werden, darf dann am 14. November 21 abends endlich Jason Reilly darstellen.

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Jason Reilly – unersetzlich als Onegin, und wer ihn in dieser Rolle sieht, empfindet das Ballett als neu erfunden. Foto: Roman Novitzky

Er ist als Onegin berühmt und gilt vielen nicht ohne Grund als der beste lebende Cranko-Ballerino, zumindest in diesem Part.

Kraftvoll und doch melancholisch, hingegeben und doch in sich gespalten, tanzt er den an der Welt leidenden Intellektuellen ebenso überzeugend wie den leicht und oberflächlich entflammbaren Dandy. Beide Seiten gehören zu Eugen Onegin.

Onegin ist schwer zu fassen, aber ein Jason Reilly vereint alle Facetten dieses faszinierenden Mannes auf der Bühne in sich: die dunklen, düsteren, fast gewalttätigen Seiten ebenso wie die brillant schimmernden und verführerisch walzernden Anteile dieses wilden Kerls.

Innerhalb und außerhalb Stuttgarts hat „Onegin“ so oder so damit Maßstäbe gesetzt, was das Ballett angeht.

Ihn jetzt in seiner Heimatstadt zu versäumen, wenn man die Möglichkeit hat, hinzugehen und ihn erneut zu lieben, wäre unverzeihlich.

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Adhonay Soares da Silva: ein entzückend lyrischer, dennoch exakter Lenski mit heimlichen Aussichten, einst ein großer Onegin zu werden. Foto: Roman Novitzky

P.S. Übrigens wachsen beständig kommende Onegins nach. Einer von ihnen tanzt am 23. Oktober 21, also bei der Wiederaufnahme am Samstag, den Lenski, an der Seite der anmutigen Jessica Fyfe als Olga. Es ist Adhonay Soares da Silva, der bei der gesehenen Bühnenprobe als Lenski exzellent und so wunderbar lyrisch war, wie man es sich von dieser Partie ganz kühn erhofft. Weil Adhonay sonst vor allem auch ein dramatisches Talent ist, bleibt zu hoffen, dass er in den kommenden Jahren in die Titelpartie von „Onegin“ hineinwächst. Einstweilen ist er im Team mit Friedemann Vogel und Elisa Badenes sowie eben mit Jessica Fyfe zu bewundern und zu genießen. Da capo!
Gisela Sonnenburg

P.S.S. Weitere Beiträge zu„Onegin“ finden Sie online im Ballett-Journal auf www.ballett-journal.de!

www.stuttgarter-ballett.de

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